Do, 01. Oktober 2020
Bundestagsabgeordnete erkennen Systemrelevanz der Migrationsberatung an
Parteiübergreifend wollen sich die Bremer Bundestagsabgeordneten für eine solide Finanzierung der Migrationsberatung einsetzen
Die Aktion von vor zwei Jahren wirkt noch nach: „Es war eine sehr
eindrückliche Situation und der Rollenwechsel sehr hilfreich“, sagte Kirsten
Kappert-Gonther zu Beginn der „Migrationsberatung anders herum“. Vor zwei
Jahren luden im Rahmen eines Fachtags der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien
Wohlfahrtsverbände (LAG FW) die Migrationsberatenden verschiedener Träger die
Bremer Bundestagsabgeordneten zu einer Beratung. Die Politikerinnen schlüpften
dafür in verschiedene Rollen und waren dadurch selbst mit den Problemen
konfrontiert, die Ratsuchende in die Beratungsstellen treibt. Jetzt folgte der
Gegenbesuch – aufgrund der gegenwärtigen Situation mit einem etwas anderen
Fokus.
Jessica Hotze vom Verein für Innere Mission arbeitet in einer Beratungsstelle
in Osterholz-Tenever. Normalerweise steht ihre Tür den Ratsuchenden immer
offen, erzählte sie der Grünen-Abgeordneten Kappert-Gonther. Aktuell muss sie
jedoch jeden nach Termin abarbeiten; da es allerdings mehr Ratsuchende gibt, als
sie Termine anbieten kann, hat sich eine lange Warteliste gebildet. Selbst
dringende Fälle muss sie vertrösten. Erschwerend dazu kommt, dass die
Behörden auch immer noch schwer zu erreichen sind. Das Jobcenter
beispielsweise, auf das viele Migranten angewiesen sind, ist nach wie vor nur
per Telefon und E-Mail erreichbar. Das sei für die Menschen, die sie berät,
schwierig zu bewerkstelligen, weil sie auf Deutsch schriftlich nicht ausdrücken
können, was sie für ein Problem haben, und dann auch die Antwort nicht
verstehen.
V.l.: Cevahir Cansever (AWO), Lucyna Bogacki (Landeskoordinatorin für
Migration), Sarah Ryglewski (SPD), Birgitt Pfeiffer
Dazu kommt, dass viele andere Einrichtungen geschlossen waren und es immer
noch zu wenig Wohnraum gibt. Als Beispiel nannte sie eine alleinerziehende
Mutter, die mit ihren fünf Kindern in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebt – und
das während des Lockdowns. „Das schreit nach familieninternen Konflikten,
nach Nachbarschaftskonflikten“, erzählte sie. Sprachbarrieren, mangelnder
Zugang zu technischer Ausstattung und mangelnde Schulbildung bei den Eltern
machten auch Home Schooling zu einem Ding der Unmöglichkeit. Die Kinder von
gerade erst Zugewanderten fallen dadurch weiter hinter ihre einheimischen
Klassenkameraden zurück.
„Die Probleme wachsen, aber die Förderung wächst nicht mit“, resümierte
Lucyna Bogacki, Landeskoordinatorin für Migration für die Wohlfahrtsverbände.
Denn neben den Problemen, die die Pandemie mit sich brachte, wachse auch die
Zahl der Hilfesuchenden, fuhr sie fort. Zwar kommen weniger Geflüchtete in
Bremen an, doch die, die in den vergangenen Jahren angekommen sind, benötigen
jetzt verstärkt Hilfe. Da gehe es beispielsweise darum, eine Wohnung zu finden,
auszustatten und zu halten, ebenso darum, Arbeit oder eine Ausbildung zu finden
oder die Abschlüsse aus dem Heimatland anerkennen zu lassen.
V.l.: Jessica Hotze (Verein Innere Mission), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Lucyna Bogacki (Landeskoordinatorin für Migration)
Ähnliche Berichte lieferten Cevahir Cansever von der AWO Bremen sowie Stefan Sandmann und Nino Adam von der Caritas Bremen den Bremer Bundestagsabgeordneten von der Linken, der SPD und der CDU. Alle Beratende der verschiedenen Träger haben im Lockdown durchgearbeitet, niemand war in Kurzarbeit, keine einzige Beratungsstelle geschlossen. Und sie wurden gebraucht! Lucyna Bogacki hob bei jeder der Revanche-Beratungen die Systemrelevanz auch dieser Arbeit hervor – und die Abgeordneten bestätigten diesen Eindruck. „Die Beraterinnen und Berater geben weiterhin ihr Bestes, die Hilfesuchenden mit Rat und Tat zu unterstützen. Ihr Einsatz verdient hohe Anerkennung und das nicht nur in Zeiten von Corona. Daher ist es gut, dass im Bundeshaushalt 2021 die Mittel auf gleicher Höhe fortgeschrieben werden sollen. Es gilt aber auch, den Bedarf im Auge zu behalten und wenn notwendig nachzusteuern“, sagte die SPD-Abgeordnete Sarah Ryglewski.
V.l.: Lucyna Bogacki (Landeskoordinatorin für Migration), Nino Adam (Caritas), Elisabeth Motschmann (CDU), Sigrid Grönert
Auch Elisabeth Motschmann (CDU) zollte den Beratenden ihre Anerkennung: „Ich habe großen Respekt vor dieser Arbeit, die nicht genügend in der Gesellschaft anerkannt wird. Für mich ist die Migrationsberatung ein sytemrelevanter Beruf, der eine solide Finanzierung benötigt.“ Und Doris Achelwilm von der Linkspartei forderte: „Ohne qualifizierte Anlaufstellen wie die Migrationsberatung geht es nicht. Die Arbeit der Berater*innen muss anerkannt und ausreichend finanziert werden.“
V.l.: Stefan Sandmann (Caritas) Lucyna Bogacki (Landeskoordinatorin für Migration), Doris Achelwilm (LINKE)
Die Beratenden und auch die Koordinatorin sind mit einem guten Gefühl aus den Gesprächen gegangen. Alle vier Abgeordneten haben ihre Unterstützung im Kampf um die Finanzierung der Migrationsberatung zugesichert und erkennen das Engagement aller in der Migrationsberatung Tätigen an. Lucyna Bogacki hofft, dass auch in der breiten Öffentlichkeit ankommt, wie wichtig diese Arbeit, und eine sichere Finanzierung, für Migranten und ihre Integration in die Gesellschaft ist. Letztlich profitieren weit mehr Menschen davon.